Es gibt keinen Pizzaservice auf See
von Dieter Sell
Das Thema: Alltagsleben an Bord
Im Interview: Heike Proske
Zur Person: Heike Proskeist Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission. Sie äußert sich über das Leben an Bord, das in den kommenden Wochen auch vom Theater „Das Letzte Kleinod“ in mehreren Küstenstädten thematisiert wird.
Frage: Frau Proske, Piratenfilme kennen alle. Aber liefert der Arbeitsalltag auf See genügend spannenden Stoff für ein Dokumentartheater?
Proske: Jedenfalls ist der Arbeitsalltag auf See mit nichts vergleichbar, was wir von Land her kennen. Der Job ist geprägt von Zusatzbelastungen: Ohne Rhythmus, etwa durch einen Tag-Nacht-Einsatz, durch Wind und Wetter unterbrochene Ruhepausen, die Begrenzung auf das vorhandene Personal, denn auf dem offenen Meer kann niemand eingeflogen werden. Ist die Crew gut zusammengestellt, haben die Leute deshalb meist Mehrfachbegabungen. Der Chief in der Maschine kann gut kochen und springt ein, wenn der Koch ausfällt. Es gibt eben keinen Pizzaservice auf See, den man mal bei Bedarf kurz anrufen kann. Selbst medizinische Notfälle müssen mit Bordmitteln und höchstens mit Unterstützung über Funk gelöst werden. Dazu kommen Einsamkeit und Isolation.
Frage: Wie lässt sich das verbessern?
Proske: Das kürzlich weltweit in Kraft getretene internationale Seearbeitsübereinkommen verbessert viel. Seeleute sollen zumindest in den Häfen über Internet oder Telefon Kontakt zu ihren Familien aufnehmen können. Die Heuer muss monatlich ausgezahlt werden, es gibt ein Grundrecht auf medizinische Behandlung und das Recht auf Heimschaffung etwa nach dem Tod eines engen Angehörigen oder bei Krankheit. Allerdings ist noch nicht absehbar, ob die Umsetzung des Übereinkommens wirksam kontrolliert werden kann.
Frage: Aber an Isolation und Einsamkeit lässt sich wohl nichts ändern...
Proske: Es gibt Reedereien, die Internet zumindest in den 50-Seemeilen-Zonen vor der Küste möglich machen. Das sind in der Regel westeuropäische Reeder. Wenn da aber ein Charterer kommt, der die Gebühr nicht zahlt, wird es wieder abgestellt. Da ist viel zu tun.
Frage: Das ist doch alles weit weg auf See. Fragt sich, was uns Landratten das angeht?
Proske: Viel. Ohne die etwa 1,5 Millionen Seeleute auf weltweit rund 65.000 Frachtern hätten wir weder Mobiltelefone noch Computer, Brillen, Kleidung. Morgens stehe ich um sechs Uhr auf, mein Wecker made in Russia klingelt. Ich hieve mich aus meinem Bett made in China. Ich schlüpfe in meine Pantoffeln made in Brasil. Und trinke meinen Kaffee made in Columbia aus einer Tasse made in France. Bis ich morgens so weit bin, dass ich klar aus der Wäsche gucken kann, habe ich in meinem Haushalt schon die ganze Welt in der Hand gehabt.
Heike Proske ist Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission. Sie äußert sich über das Leben an Bord, das in den kommenden Wochen auch vom Theater „Das Letzte Kleinod“ in mehreren Küstenstädten thematisiert wird.