Was braucht es, um Krisen auf See frühzeitig zu erkennen?
PSNV-Fachtagung zur Interkulturalität
Wie geht es Männern und Frauen auf See? Kann man Krisen frühzeitig erkennen, was braucht es dazu und reichen die derzeitigen Maßnahmen dafür aus? Darum drehte sich eine Diskussionsrunde unter Leitung von Dr. Christina Kayales mit Expertinnen und Experten aus der Schifffahrt.
Fanny Löwenstrom arbeitet bei der Reederei Fairplay. Sie schätzt die Krisenintervention der Deutschen Seemannsmission bei Krisen an Bord: „Die ersten, die ich anrufen würde, wären die Mitarbeiter der Seemannsmission, weil da geschulte Leute sitzen. Wir brauchen Leute, die den Menschen an Bord nicht kennen und ihm die Chance geben, neutral und anonym zu berichten. In dem Moment, wo den Leuten Schreckliches widerfährt, denken die bei einer fremden Person nicht viel drüber nach, sondern erzählen einfach. Bei jemandem von uns habe ich eher den Eindruck, dass die Besatzungsmitglieder denken: ‚Da muss ich vorsichtig sein, was ich sage, nicht, dass es mir am Ende negativ ausgelegt wird‘.“
Aida Cruises bietet laut Ines Kunstmann, Manager Cruises, seinen Besatzungen sogenannte Care-Kurse an, in denen die Crews sich Basiswissen aneignen können, was eine Krise ist, wie Betroffene darauf reagieren können, wie man damit umgehen könne, aber auch Selbstfürsorge sei Teil dessen. Auch wenn man in nur wenigen Stunden nicht viel schulen könne, findet der Psychologe Dominik Cardoso diesen Ansatz genau richtig. „Das ist genau der Schritt, der in der Seefahrt gebraucht wird, weil das nur wenige machen. Und ich glaube, von da ausgehend kann sich sehr viel entwickeln.“
Stefan Francke, Pastor für die Besatzungen niederländischer Baggerbetriebe, hebt hervor, was während der PSNV-Fachtagung klar geworden sei, nämlich, dass es um normales menschliches Verhalten in einer Krisensituation gehe. „Wie kannst du ein anständiger Mensch in einer abnormalen Situation bleiben? Das ist keine Raketenwissenschaft, oder? Wir haben das Privileg mit unserer Arbeit zu zeigen, um was es geht.“ Er sei sich sicher, dass man in drei Stunden jede Menge darüber erfahren könne, was einem als Mensch passiert, wenn man sich in einer Krise befindet. Denn es sei nicht sofort ein psychologisches Problem, das entstehe, so Francke. „Es ist normal, dass einen eine Krise nicht kalt lässt. Es ist nicht so, dass man sofort einen Psychologen aufsuchen muss. Zwei oder fünf Monate später besucht man dann bei Bedarf einen Fachmann. „Meine Botschaft ist: Mach es nicht schwieriger als es ist.“
Andrea Meenken, die die Seemannsmission in Panama leitet, weiß, dass Seeleute sich häufig fragen: „Wen interessiert hier eigentlich was ich tue?“ Sie hätten häufig das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Kürzlich habe sie von einer jungen Inderin erfahren, die versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Von ihrer Reederei sei sie in ein Krankenhaus gebracht worden. Davon erfuhr die Mitarbeiterin der Seemannsmission jedoch leider erst, als das Besatzungsmitglied bereits wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt war. „Da habe ich gedacht: Unter welchen Bedingungen ist diese junge Frau zurückgeflogen und keiner hat sie besucht.“ An die versammelte Expertenrunde gerichtet, sagte Andrea Meenken: „Wir sind Ihre Partner vor Ort, wenn der Bedarf da ist.“
Das Expertengespräch war Teil der diesjährigen viertägigen PSNV-Fachtagung der Deutschen Seemannsmission rund um kultursensible Krisenintervention, die PSNV-Koordinator Dirk Obermann auf die Beine gestellt hat.