© Foto: Havariekommando Cuxhaven
Seele in Seenot
Havariekommando und Seemannsmission leisten an den Küsten im Notfall Erste Hilfe
Cuxhaven (Dieter Sell - epd). Es sind dramatische Stunden an Bord der litauischen Fähre "Lisco Gloria": Während unter Deck ein Brand wütet und dicke Qualmwolken über die See nördlich von Fehmarn ziehen, stehen teilweise nur spärlich bekleidete Passagiere auf dem Schiff. Wenig später treiben sie in Rettungsbooten und kleineren Rettungsinseln bei Windstärke fünf auf der Ostsee. Das Unglück im Oktober 2010 war eine erste Bewährungsprobe für die Notfallseelsorge, die das Havariekommando in Cuxhaven gemeinsam mit der Deutschen Seemannsmission organisiert.
Das Kommando ist eine gemeinsame Einrichtung des Bundes und der Küstenländer. Von der Zentrale in Cuxhaven aus organisiert sie mit 40 Beschäftigten im Rund-um-die-Uhr-Betrieb seit Januar 2003 Unterstützung bei Unfällen und Katastrophen auf Nord- und Ostsee. Im Notfall wird ein Krisenstab gebildet, zu dem als Fachberater Beschäftigte der Seemannsmission gerufen werden, um Hilfe für Seelen in Seenot zu leisten.
"Manche können ein Unglück wie den Brand auf der Lisco Gloria gut wegstecken, andere sind völlig durch den Wind", weiß der Cuxhavener Seemannsdiakon Martin Struwe, der die Notfallseelsorge auf See mit aufgebaut hat. "Einige leiden später an posttraumatischen Belastungsstörungen wie Herzrasen, Schlaflosigkeit und Panikattacken."
Der Gefahr an Bord eines Schiffes nur schwer ausweichen zu können – das kann nach den Erfahrungen von Struwe zum Albtraum werden. Wenn Besatzungsmitglieder nach einem Brand wieder an Bord müssen, löst vielleicht schon der Geruch auf den Decks und in den Kabinen Ängste aus. "Wir sagen den Leuten dann, dass sie nicht verrückt sind. Reaktionen dieser Art sind ganz normal." Im Gegensatz zur Versorgung an Land ist die Verständigung schwieriger. Struwe: "Das passiert meist auf Englisch, besser aber muttersprachlich, wenigstens bei der späteren Nachsorge."
Nord- und Ostsee gehören zu den verkehrsreichsten Gewässern der Welt. Dort kommt es immer wieder zu schweren Unglücken, bei denen eine psychosoziale Begleitung wichtig ist. So kentert im Januar 1993 im schweren Orkan vor Rügen die polnische Fähre "Jan Heweliusz". Mehr als 50 Menschen sterben. Im September 1994 sinkt die estnische Personen- und Fahrzeugfähre "Estonia" bei Sturm und schwerer See im Seegebiet südlich der finnischen Stadt Turku. 852 Tote.
Auch wenn niemand stirbt, können die Ereignisse für die Betroffenen belastend sein. Im August 2008 werden bei der Rückfahrt von einem Helgoland-Urlaub nach Ostfriesland 24 Passagiere eines Hochgeschwindigkeits-Katamarans verletzt, als eine Panoramascheibe bricht. Im November vergangenen Jahres kollidieren zwei Frachter auf der Weser bei Bremerhaven. Alle Seeleute bleiben körperlich unverletzt, die Seemannsmission leistet Notfallseelsorge.
Ereignisse wie diese haben das Havariekommando darin bestärkt, zusammen mit Militärpfarrern und der Seemannsmission ein Konzept für die psychosoziale Notfallversorgung aufzustellen, das seit Anfang 2011 mit voller Rufbereitschaft greift. "In den ersten Monaten haben wir aus den Einsätzen viele positive Rückmeldungen von Besatzungen und Angehörigen bekommen", sagt der Leiter des Havariekommandos, Hans-Werner Monsees.
Struwe teilt sich derzeit mit weiteren vier Fachberatern die Rufbereitschaft, rund um die Uhr. Sie lernen auch, wie sie beispielsweise von einem Hubschrauber abgeseilt werden, um zu helfen. Im Notfall organisiert er aber meist mit Kollegen der Seemannsmissionen vor Ort konkrete Unterstützung. So ist es im April 2011 nach einer Schiffskollision im Nord-Ost-Kanal mit Hilfen aus Kiel und Brunsbüttel geschehen.
"Es war Gold wert, dass mich eine Dolmetscherin begleitet hat, die zufälligerweise wie die meisten betroffenen Seeleute aus dem russischen Omsk stammte", erinnert sich die Brunsbütteler Seemannsdiakonin Maike Puchert. "Wir konnten in ihrer vertrauten Muttersprache auf Fragen antworten, die Leute mit Telefonkarten und Informationen versorgen - über das, was geschehen war und wie es ihren Kollegen geht. So haben wir gezeigt, dass sie in diesem Land nicht alleingelassen werden." (2029/02.01.12)