O Heiland reiß die Himmel auf – Ein altes Lied mit dem Schrei nach Heil
Sind Sie in Adventsstimmung? Manchen fällt das leicht mit Gebäck, glitzernden Lichtern und den Gerüchen dieser Zeit. Oder suchen Sie noch danach? Ist da so viel anderes, was es schwer macht, die Stimmung reinzulassen, zuzulassen? Der Alltag, aber auch die vielen Nachrichten von den Krisen dieser Welt in diesen Tagen? War die Welt jemals so unfriedlich wie jetzt? Zugleich gibt es so viele Veränderungen, da ist es schwer mitzukommen. Können da überhaupt Adventsgefühle aufkommen? Darf man da überhaupt Adventsfreude empfinden?
Für mich gibt da ein altes Lied eine Antwort: O Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf.
O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
Es ist nicht so bekannt wie andere Lieder, aber es drückt für mich sehr stark aus, was der Advent eigentlich ist. Das Lied ist voller Sehnsucht, es ist ein sehnsüchtiger Ruf nach dem Heiland, nach dem der heil macht und das Heil bringt, inmitten einer kaputten Welt – ein Schrei der Sehnsucht nach besseren Zeiten.
Es stammt aus einer Zeit, in der Deutschland verwüstet wurde vom Krieg, vom dreißigjährigen Krieg. Geschrieben wurde es wahrscheinlich von Friedrich Spee im Jahr 1622. Er war auch ein Kritiker der Hexenverfolgung, auch dieses himmelschreiende Unrecht könnte im Hintergrund stehen. Der Text des Liedes ist jedoch zeitlos geschrieben, so dass er in jede Zeit sprechen kann, in der den Menschen die Welt kaputt erscheint, voller Unheil und Unfrieden.
Spee nimmt im Text Worte aus den Büchern der Propheten in der Bibel auf:
„Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen“ (Jesaja 63,19)
Und aus Jes 45,8: „Träufelt, ihr Himmel, von oben, und ihr Wolken, regnet Gerechtigkeit! Die Erde tue sich auf und bringe Heil, und Gerechtigkeit wachse mit auf!“ (Beide Bibelworte hier nach der Lutherbibel 2017 zitiert, © Deutsche Bibelgesellschaft).
Die Propheten waren oft kritische Begleiter ihrer Zeit, gerade in schwierigen Zeiten. Sie zeigten, wo die Welt kaputt ist. Wo es fehlt an Gerechtigkeit und Frieden. Sie blenden die schlechten Nachrichten nicht aus, sondern legen gerade den Finger in die Wunde. Doch sie bleiben nicht bei der Verzweiflung über all das Unheil stehen. Sie sprechen inmitten schwieriger Zeiten von der Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit und Heil – und vom Warten auf den Erlöser, der das Heil bringt.
Adventsstimmung: Sehnsucht nach einer heileren Welt
Dieses Warten wurde später auf den Advent bezogen. Die Zeit des Wartens auf das Weihnachtsfest, bei dem wir feiern, dass in Jesus das Heil Gottes in die Welt kommt. Zugleich war später deutlich, dass die Welt jetzt immer noch nicht heil ist. Dass die völlige Erlösung der Welt noch aussteht.
So gesehen leben wir eigentlich immer im Advent, im Wissen darum, dass Jesus gekommen ist, aber zugleich in der Sehnsucht nach der ganzen Erlösung.
Dies drückt dieses Lied wunderschön aus. Friedrich Spee hat es genau in seine kaputte Welt hinein geschrieben, mit der Sehnsucht: O Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel auf. Von oben soll er kommen. Aber auch von unten: O Erd schlag aus, … o Heiland aus der Erden spring.
„Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt,
darauf sie all ihr Hoffnung stellt?“
In diesem Jahr werde ich dieses Lied besonders innig singen, denn es ist so viel kaputt, Klima, Kriege, Gewalt und Hass.
Die Sehnsucht der Seeleute
Sicher kennen nicht viele Seeleute dieses Lied. Es ist auch verschieden, wie in den Kulturen die Zeit des Advents begangen wird. Aber uns eint die Sehnsucht. Die Seeleute merken sehr deutlich, dass die Zerrissenheit der Welt zunimmt. Sie fahren in Krisengebiete. Plötzlich sind sie auf der Hauptschifffahrtsroute vom Suez Kanal bedroht, weil im Roten Meer Schiffe angegriffen werden. Sie fahren immer noch mit gemischten Crews von Russen und Ukrainern, und das spüren dann alle an Bord. Und sie erleben ganz unmittelbar, wie internationale Regeln immer weniger gelten, schon in der Corona Pandemie, aber auch jetzt noch. Der Seafarers Happiness Index, eine Umfrage zur Zufriedenheit der Seeleute, zeigt drei Quartale in Folge nach unten. Viele Reedereien haben nach der Pandemie die Bedingungen für Seeleute verbessert, aber zugleich gibt es einen gegenläufigen Trend.
Auf einem Forum sagten Seeleute: „Wir wollen als Menschen behandelt werden!“
Da passt es, dass 2023 der 2. Advent zugleich der Tag der Menschenrechte ist. Die Menschenrechte gelten überall, auch auf See und in fremden Häfen, an der Grenze.
Deshalb denke ich bei dem Lied und der Sehnsucht im Advent auch an die Seeleute. Sie sehnen sich nach Frieden und Gerechtigkeit, und danach auf allen Schiffen und in allen Häfen als Menschen behandelt zu werden.
Die Menschenrechte gelten überall, auch auf See und in fremden Häfen, an der Grenze.
Dürfen wir Adventsstimmung empfinden in dieser Zeit? Aber ja, sage ich. Genau diese Stimmung, die spürt, dass vieles nicht stimmt in dieser Welt. Die aber nicht aufgibt, sondern die Sehnsucht spürt, feiert und heraussingt: O Heiland reiß die Himmel auf.
Dazu gehört dann auch, es sich schön zu machen in dieser Zeit, denn das spiegelt wider, dass die Welt anders sein soll.
Genießen sie die Zeit, mit dem schönen was es gibt, an glänzenden Lichtern in der Dunkelheit, Gerüchen, die die Sehnsucht wecken und schönen Momenten. Die Sehnsucht ist dann mittendrin – und die Hoffnung. Gerade jetzt.
(Matthias Ristau)
Hier der Link zu meiner Lieblingsversion des Liedes (Achtung: externer Link zu Youtube)
O Heiland reiß die Himmel auf
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