Gottesdienst zum Sonntag der Seefahrt 17.Sept. 2006
in der Lukaskirche, Leherheide in Bremerhaven
Predigt: Seemannspastorin Verena Wilhelm, Brake
Voten: Franziska Boist, Antje Zeller
Predigt Teil 1
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Was verbinden Sie eigentlich mit der Seefahrt?
Das ist eine Frage, die ich häufig stelle, wenn ich in Gemeinden unterwegs bin, um den Menschen dort von der Arbeit der Seemannsmission zu erzählen. Und die Antworten, die ich bekomme, ähneln sich meistens. Ferne Länder bereisen, die Häfen dieser Welt kennen lernen, manchmal Abenteuerlust. Es sind die verklärt-romantischen Seiten der Seefahrt, die immer noch stark in unserem Bewusstsein verankert sind. Eine Seefahrt, die ist lustig, in jedem Hafen eine Braut und die Pulle Rum darf auch nicht fehlen! Diese Klischees mögen abgedroschen wirken, und doch begegnen sie mir immer wieder.
Es gibt aber auch Stimmen, die ganz andere Seiten der Seefahrt betonen:
Das sei doch sicherlich ein sehr einsames Leben, das die Seeleute führen - so ganz ohne Familie und Freunde. Monatelang unterwegs sein, seine Heimat zurücklassen - das alles sei doch bestimmt gar nicht so leicht.
Und schon führen wir ein angeregtes Gespräch über die Situation von Seeleuten, über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen. Denn die sind alles andere als einfach, geschweige denn romantisch. Die Einsamkeit, die Entfremdung von der Familie, die Abkehr vom sozialen Leben in der Heimat. Das alles ist extrem belastend. Und der Dienstplan lässt auch an Bord selten intensivere menschliche Begegnungen zu. Wenn man jemanden trifft, wechselt man oft nur die nötigen Worte. Arbeit geht vor.
Dazu kommen die immer kürzeren Liegezeiten in den Häfen. Zeit zum Landgang bleibt da kaum. Und wenn der Seemann doch mal für ein paar Stunden das Schiff verlassen kann, was sieht er dann? Ob in Bremerhaven, New York oder Rotterdam - was die Seeleute von der großen weiten Welt zu sehen bekommen, sind Container und Güterzüge.
Seeleute brauchen daher in ihrer gegenwärtigen Situation eine besondere Unterstützung.
Wenn Sie sich die vordere Seite Ihres Liederzettels anschauen, dann können Sie unter dem Logo der Deutschen Seemannsmission, unter dem Ankerkreuz, die Worte lesen „support of seafarers dignity“: Unterstützung für die gottgegebene Würde der Seeleute. Das ist der Leitspruch und das Ziel der Seemannsmission. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Seemannsmission stellen sich dieser Aufgabe bei Bordbesuchen und bei der Arbeit in Seemannsclubs und Seemannsheimen: Für sie zählt der Mensch, der einzelne Seemann mit seiner eigenen Geschichte und Herkunft und seinen ganz persönlichen Bedürfnissen.
Die Theologiestudentin Franziska Boist macht zurzeit ein Praktikum bei der Seemannsmission hier in Bremerhaven. Sie kann uns aus ihrer ganz eigenen Perspektive von der Atmosphäre im Hafen und im Seemannsclub erzählen...
Jeder ist Willkommen
Wenn Sie einmal in Bremerhaven über die Kaiserschleuse in das Freihafengebiet fahren, ist es so, als würden Sie hier eine andere Welt betreten.
Es geht vorbei am Fruchtterminal und den Trockendocks der Lloydwerft - gigantische Autotransporter und riesige Kräne säumen den Weg wie große starre Monster aus Stahl. Rangierende Güterzüge und LKWs, ungesicherte Kajen und schwebende Lasten machen die Fahrt zum Abenteuer. Das Gebiet ist voll von geschäftiger Betriebsamkeit. Mechanischer Betriebsamkeit... aber Menschen sieht man hier nicht.
Am Ausgang des Containerterminals und unterhalb des Schleusenturms erreicht man einen Ort der Welcome heißt. Ein ungewöhnlicher und recht unerwarteter Name in dieser Umgebung, denn letztere ist nicht wirklich gastfreundlich.
Also kommt man der freundlichen Einladung nach, tritt ein und ist erstaunt. Hier ist ein fröhliches Beisammensein. Seeleute aus aller Herren Länder sitzen beisammen, lachen und tauschen sich aus. Am Klavier sitzt jemand und spielt - nicht ganz richtig aber schön... Aus dem Nebenraum hört man Gelächter und Anfeuerungsrufe - an der Tischtennisplatte tobt ein schnelles Match und am Billardtisch werden so einige Kugeln versenkt. Mehrere Seeleute telefonieren oder decken sich mit Hygieneartikeln und Unmengen von Süßigkeiten ein. Es sind mehrere Mitarbeiter der Seemannsmission da, jüngere und ältere. Einer steht hinter dem Counter und verkauft, die Anderen sind mit Seeleuten in angeregte Gespräche verwickelt.
So ging es mir an meinem ersten Praktikumstag bei der Seemannsmission Bremerhaven. Ich war so erstaunt, hier draußen zwischen der See, dem Stahl, der harten Arbeit einen Ort der Menschlichkeit und Nächstenliebe zu finden. Erst im Laufe der Zeit habe ich erfahren, dass ein solches unkompliziertes Zusammensein für Seeleute nicht selbstverständlich ist. Der raue Alltag auf See, fern der Familie im Heimatland, manchmal monatelang ohne einen Landgang lassen einen Menschen Wärme und Geborgenheit vermissen.
Wenn schon mich das Willkommensein und die Gastfreundlichkeit so beeindruckt hat, wie wird es für einen Seemann sein, der nur die Ungastlichkeit des Containerhafens kennt? In einem fremden Land? Mit einer ebenso fremden Sprache? Im Welcome wird ihm das harte Leben ein wenig erleichtert...
In ein paar Wochen wird mein Praktikum wieder vorbei sein, aber von nun an wird die Seemannsmission für immer mein persönliches Anliegen sein, das ich anderen Menschen näher bringen will.
Was bleibt ist die Wehmut, liebgewonnene Menschen wieder gehen zu lassen aber vielleicht sieht man sich ja wieder. Im Welcome. Denn dort ist jeder willkommen.
Predigt Teil 2
Willkommensein, Gastfreundschaft erleben, einen Ort finden, um sich mit anderen auszutauschen. Der Seemannsclub „Welcome“ ist so eine Oase der Begegnung. Wir Menschen brauchen das Gefühl, aufgenommen zu sein und ein Zuhause zu haben. Doch was bleibt den Seeleuten, wenn sie unterwegs sind, rund um die Welt?
„Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ Dieser Vers aus Psalm 36, den wir vorhin gesprochen haben, enthält die Zusage, dass Gott uns nirgends fern ist. Er geht mit. Überall können wir ein Zuhause in Gott finden, denn wir stehen im Mittelpunkt seiner Zuwendung. Wir werden von Gott angesehen und ein Leben lang begleitet, egal an welchem Ort der Erde. Manchmal mag er uns fern erscheinen, bei all dem, was wir erleben, aber trotzdem dürfen wir darauf vertrauen, dass er immer da ist und uns die Kraft gibt, die wir zum Bestehen des Lebens benötigen.
„Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“ Dieses Psalmwort enthält aber auch einen Auftrag an uns Christen: Überall unter dem Himmel soll Gottes Güte und die Wahrheit über die Würde des Menschen erfahrbar werden. Unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und Dienstgrad. Wir sind aufgerufen, die Menschen aus aller Welt willkommen zu heißen und ihnen ein Gefühl von Heimat zu geben.
Solch ein Gefühl von Heimat kann schon das gemeinsame Sprechen eines bekannten Gebets hervorrufen. Rund um den Erdball verbindet das Vaterunser die Christen. Bei Andachten im Seemannsclub kann es der Seemann von den Philippinen ebenso beten wie sein russischer Kollege. Lassen Sie uns die Strophen 3 und 4 des Liedes „Unser Vater“ miteinander singen.
Lied: Unser Vater
Die Menschen, die auf Schiffen leben und arbeiten, haben alles verlassen: ihren Familien- und Freundeskreis, ihren Sprach- und Kulturraum und sogar den festen Boden unter ihren Füßen. All das haben sie für viele Monate verlassen. Und das einzige, was ihnen folgen kann, wo immer sie hingehen, was sie festhalten können und was ihnen bleibt, ist ihr Gott. Ich sage bewusst „ihr“ Gott, denn wenn wir Christen von „unserem“ Gott sprechen, können viele Seeleute nichts damit anfangen. Auf einem Schiff kommen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen zusammen. Aufgabe der Seemannsmission ist es nicht, Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren, sondern vielmehr alle Seeleute wie Brüder und Schwestern zu behandeln, die besonderer Liebe und Fürsorge bedürfen. Niemals wollen wir sie ihres Haltes berauben, den sie in ihrer eigenen Religion finden.
Antje Zeller arbeitet seit vielen Jahren als Seemannsdiakonin. Sie kann uns von den Herausforderungen, aber auch von den ganz besonderen Momenten im Umgang mit Seeleuten erzählen.
(Votum Zeller folgt)
Predigt: Teil 3
Wenn wir auf die Weser blicken und auf die Schiffe schauen, die vorüberziehen, dann sehen wir nur das Äußere: Die Größe und Bauart des Schiffes, seinen Namen und das Herkunftsland. Aber den Namen und die Herkunft der Menschen, die auf dem Schiff leben und arbeiten, kennen wir nicht. Doch an ihre Würde und Wahrheit, die sie vor Gott haben, knüpft die Arbeit der Seemannsmission an, hier in Bremerhaven und in allen anderen Einrichtungen rund um die Welt.
„Herr, deine Güte reicht so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.“
Amen.